Zoo | FRANKFURT.DE - DAS OFFIZIELLE STADTPORTAL (2024)

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150 Jahre Zoo im Ostend: Ein Tiergarten im Wandel der Zeit

1874 zog der Frankfurter Zoo mit Tieren und Gehegen an seinen jetzigen Standort um – seitdem haben sich seine Wahrnehmung und Aufgaben grundlegend geändert.

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Petra hat trotz strahlendem Sonnenschein wenig Lustdarauf, im Freien zu sein. Die 47 Jahre alte Flusspferddame döstlieber unter Wasser in ihrem Pool im ehemaligen Elefantenhaus desZoos, das sie mittlerweile alleine bewohnt. Nur ein kleiner Teilihres breiten Rückens ragt aus dem Wasser hervor, der Kopf dümpeltschläfrig unter der Oberfläche. Ein kleines Mädchen kommt trotzdemaus dem Staunen nicht heraus, wie groß die betagte Dickhäuterin ist.

Petras Zuhause kommt aus einer anderen Zeit. Dicke Gitterstäbetrennen die Tiere von den Menschen, ein vergilbtes Schild warnt dieBesucherinnen und Besucher davor, dass Nashörner – die früherebenfalls dort lebten – sie beim Markieren eventuell mit Urinvollspritzen könnten. Neben den Flusspferden und Nashörnernbeherbergte das Haus vor Jahrzehnten auch noch drei Elefanten aufengem Raum; unvorstellbar für heutige Standards der Tierhaltung. DerZoo Frankfurt möchte die alte Dame aber nicht aus ihrem gewohntenUmfeld reißen, zudem hat sie alleine ausreichend Platz. Nach ihremAbleben wird in das Haus kein Flusspferd mehr einziehen.

Ein Zoo aufProbe

Wie alt das Haus – oder zumindest seine ursprüngliche Form – wirklichist, lässt sich an einem Zoo-Modell im Vogelhaus erkennen. Zwischenden parkähnlich angelegten Gehegen wandeln winzige Figuren mit Hütenund Sonnenschirmen. In der Mitte ein gelbes Haus mit auffälligenVerzierungen im maurischen Stil: Petras Zuhause. Identisch sieht esheute nicht mehr aus, denn wie so viele Gebäude in Frankfurt fielenauch die meisten Tierhäuser im Zoo den Bombenangriffen während desZweiten Weltkriegs zum Opfer. Die Form des Hauses lässt sich jedochauch heute noch erkennen; das ursprüngliche Aussehen ist durch denpragmatischen Baustil der Nachkriegszeit ersetzt worden.

Wenn man das Modell genauer betrachtet, fällt jedoch schnell auf: Dasist gar nicht das Gelände des Zoos im Ostend. Denn tatsächlich istder Zoo erst seit 1874 an der Pfingstweide angesiedelt. Vorherbesuchten die Frankfurterinnen und Frankfurter die Zootiere auf deranderen Seite der Stadt im Westend. „Der Impuls zur Zoogründung kam,wie so vieles in Frankfurt, von der Bürgerschaft – in den 1850erJahren gründeten Bürgerinnen und Bürger der Stadt ein Komitee, dassich mit einem möglichen Zoo in Frankfurt beschäftigte und schnell zuErgebnissen führte. Auch heute noch ist der Zoo eng mit dem Bürgertumdieser Stadt verbunden und lebt auch durch dessen Engagement“, sagtdie für den Zoo zuständige Kultur- und Wissenschaftsdezernentin InaHartwig.

1855 erwarb Hermann Mumm als Vertreter dieses Komitees bei eineröffentlichen Versteigerung den Leers’schen Garten an der BockenheimerLandstraße. Das 15 Morgen (entspricht etwa 37.500 Quadratmetern)große Gelände wurde jedoch nicht gekauft, sondern gepachtet – denn imKomitee war man sich bei weitem nicht sicher, ob der Zoo von derBürgerschaft wirklich angenommen werden würde. Man einigte sich aufeinen Mietpreis von 2400 Gulden – knapp 40.000 Euro – pro Jahr füreine Dauer von zehn Jahren.

So entstand der „Probezoo“ im Westend. Das Modell im heutigenVogelhaus zeigt eine Parkanlage, auf Bildern von damals sind imHintergrund Felder und der Taunus zu sehen, denn dieser Teil derStadt war zu dieser Zeit noch nicht besiedelt. Für die Finanzierungkonnte sich das Komitee die Unterstützung wohlhabender Frankfurterinnenund Frankfurter sichern, darunter die Rothschilds, der Graf von Boseund seine Frau sowie eine Tochter des Kurfürsten Wilhelm I. vonHessen. Sie und viele weitere Bürgerinnen und Bürger sicherten sichdurch Aktienkauf Anteile am neuen Zooprojekt und ließen denFrankfurter Traum eines Tiergartens damit Wirklichkeit werden. DerZoo wurde im August 1858 eröffnet.

Vom Westen inden Osten: Der Zoo zieht um

Schnell zeigte sich, dass die Frankfurterinnen und Frankfurter denZoo mit großer Begeisterung annahmen. Da es jedoch keine Möglichkeitgab, das Gelände an der Bockenheimer Warte zu kaufen, sah man sichgezwungen, nach einer neuen Heimat für den Zoo Ausschau zu halten.Nach langen Jahren mit vielen Verhandlungen, die durch verschiedeneMeinungen, finanzielle Unsicherheiten und einen Krieg verzögertwurden, einigte sich die Zoologische Gesellschaft 1872 mit der Stadtauf die Pfingstweide, die zu diesem Zeitpunkt noch umgeben vonWeinbergen außerhalb der Stadtmauern lag und zur Ochsenmast genutztwurde.

Dort wurden neue Gehege gebaut, zum Beispiel das damaligeRaubtierhaus, andere Gebäude wurden jedoch im Westend abgerissen undam neuen Standort im gleichen Stil wiederaufgebaut, denn das Geländemusste seinem Besitzer, der Städelschen Gesellschaft, ohne Gebäudezurückgegeben werden. So geschah es etwa mit dem Straußenhaus, dasheute nicht mehr steht, und Petras damals noch maurischem Zuhause,das den Elefanten Bettsy sowie einige Zebras und Ponys beherbergte.Ein schwieriges Unterfangen, denn die Tiere mussten während desUmzugs in vorübergehenden Gehegen gehalten werden. Erst im Februar1874 war es so weit: Die rund 1200 Zootiere zogen in ihre neue Heimatim Ostend. Eine Aufgabe, die mit unvorstellbaren Risiken für Tier undMensch einherging, sollte etwa ein Tier auf der Fahrt mitten durchdie Stadt ausbrechen. Zudem litten die Tiere unter enormer Anspannung– allen voran Elefantin Bettsy, die in einem Wagen von sechs Pferdendurch die Stadt gezogen wurde.

Die Zoogebäudeals Zeitreise durch 150 Jahre

Obwohl erst im Sommer 1874 wirklich alle Tierbehausungen fertigwurden, öffnete der neue Zoo bereits am 29. März 1874 seine Türen fürBesucherinnen und Besucher. Das prunkvolle Gesellschaftshaus, dasauch heute noch den Eingangsbereich ziert, wurde erst zwei Jahrespäter fertiggestellt. Ebenfalls der Gründungszeit des Zoos an seinemneuen Standort entstammen die Greifvogelvolieren mit ihren hohenRundbögen und der Wasserturm des Exotariums oberhalb der heutigenPinguin-Anlage, auch wenn an diesem nach den Zerstörungen des ZweitenWeltkriegs viele Änderungen vorgenommen werden mussten. Auch derErste Weltkrieg hinterließ Spuren im Zoo: 1916 verhungerten zweiDrittel der Tiere. Das konnte auch durch das Eingreifen desMagistrats der Stadt Frankfurt nicht verhindert werden, der 1915 denZoo übernahm, nachdem die ihn leitende Zoologische Gesellschaft dieKosten nicht mehr tragen konnte.

Wer durch den Zoo läuft, kann neben den imposanten Gebäuden aus dem19. Jahrhundert noch andere Epochen der Zoogeschichte entdecken. Dasind die durch viel Beton und gerade Linien geprägten Häuser aus den1950er bis 1970er Jahren, die vom Pragmatismus und den finanziellenNöten der Nachkriegszeit erzählen, beispielsweise das Giraffenhausund das Zuhause der nachtaktiven Tiere. Letzteres trägt den Namen deswohl berühmtesten Zoodirektors Frankfurts: Bernhard Grzimek, der ab1945 für 29 Jahre dem Zoo vorstand. Unter seiner Leitung gelang nichtnur der Wiederaufbau des zerbombten Zoos sowie dessen Ausbau, ersetzte auch das Thema Naturschutz zum ersten Mal auf die Agenda. Sowurde von diesem Zeitpunkt an verstärkt Wert darauf gelegt, dieZoogehege so tierfreundlich wie möglich zu gestalten, womit Grzimekden Zoo in den 1950er Jahren zu einem der modernsten seiner Zeitmachte – auch wenn einige seiner Methoden heute kritisch betrachtetwerden müssen. Zudem gründete er 1950 die Gesellschaft der Freundeund Förderer des Zoologischen Gartens, die heute ZoologischeGesellschaft Frankfurt von 1858 (ZGF) heißt und sich – oft in engerZusammenarbeit mit dem Zoo Frankfurt – für den Natur- und Artenschutzeinsetzt.

„Wer heute das neue Menschenaffenhaus im Zoo betritt oder durch dieAnlage der Humboldt-Pinguine schlendert, kann sehen, dass zwischenden auf Hygiene ausgerichteten Anlagen der 50er Jahre und demheutigen Verständnis davon, was naturgemäß und artgerecht ist, eingroßer Unterschied liegt – eine wesentliche, dem wissenschaftlichenKenntnisgewinn folgende, Entwicklung über so viele Jahre, in denensich das Konzept Zoo grundlegend verändert hat. Heute streben wirdanach, den Tieren ein möglichst naturgetreues Zuhause zu bieten. ImVordergrund steht immer die Frage, was brauchen die Tiere, um ihr natürlichesVerhalten ausleben zu können? Die Architektur, die es als Rahmendafür braucht, soll möglichst im Hintergrund bleiben“, erklärtZoodirektorin Christina Geiger. Dabei muss stets eine besondereEigenschaft des Frankfurter Zoos im Auge behalten werden: AlsInnenstadtzoo ist seine Fläche begrenzt und es mussten und müssenLösungen dafür gefunden werden, wie den Tieren auf dem vorhandenenRaum von elf Hektar ein artgerechtes Leben ermöglicht werden kann.

Natur- und Artenschutz als zentraleThemen

Nicht nur in den Gehegen zeigt sich der Wandel rund umdas Thema Zoo. Denn auch wenn schon bei der Gründung des FrankfurterZoos Erholung und Bildung als zentrale Gründe für seinen Bau genanntwurden, hat der Bereich Bildung in den vergangenen Jahrzehnten enorman Bedeutung gewonnen. Zoos sind keine reine Zurschaustellungexotischer Tiere mehr – vielmehr haben Forschung, Nachhaltigkeitsowie Natur- und Artenschutz eine zentrale Rolle übernommen. „EineReaktion auf die sich verändernde Welt und die immer weiterabnehmende Biodiversität“, erklärt Marco Dinter, der seit Januar 2022Naturschutzreferent im Zoo ist. Dass die Stelle geschaffen wurde,spricht für die Bedeutung, die dem Naturschutz zugemessen wird. „Bildung,Freizeit und Erholung, Forschung, Natur- und Artenschutz – heute mussjeder Zoo diese vier Säulen abdecken. Das tun auch wir. Wenn man zuuns in den Zoo kommt, erlebt man viele Dinge gleichzeitig. Man kannsehr viel lernen und verbringt dabei einen schönen Tag“, sagt derBiologe, dessen Stimme manche aus dem Naturschutz-Podcast „Hinter demZoo geht’s weiter“ wiedererkennen, den er gemeinsam mit Kolleginnenund Kollegen aus Zoo und ZGF verantwortet, und der über die vielenNaturschutzprojekte der beiden Institutionen auf der ganzen Weltberichtet.

Die Rolle des Naturschutzes für seine weitere Entwicklung hat der Zooin seiner Konzeptstudie „ZOOKUNFT2030+“ festgehalten, die 2019 unterdem damaligen Zoodirektor Miguel Casares erarbeitet und vorgestelltwurde. Sie ist Teil der im gleichen Jahr vom Dezernat für Kultur undWissenschaft präsentierten städtischen Gesamtvision, die auch dasFrankfurt Conservation Center auf dem Zooareal sowie Sanierung undUmbau des Zoogesellschaftshauses zu einem Kinder- und Jugendtheaterbeinhaltet. „Bei ‚ZOOKUNFT2030+‘ nehmen erfahrbarer Natur- undArtenschutz sowie eine exzellente Tierhaltung Schlüsselfunktionenein. Unseren traditionsreichen Zoo für die Zukunft optimalaufzustellen, ist ein herausfordernder, aber auch überaus spannenderProzess und wird die Institution, wie wir sie heute kennen,grundlegend verändern“, sagt Kulturdezernentin Hartwig.

Zentral für die Neuausrichtung ist auch die Zusammenarbeit mit derZGF. „Der Zoo unterstützt die ZGF finanziell, beispielsweise fließtein großer Teil der Einnahmen durch den Naturschutz-Euro in Projekteder Organisation. Er stellt aber auch eine Plattform für sie da undwirkt als Schaufenster, durch das die Besucherinnen und Besucher desZoos einen Einblick in die Arbeit der ZGF bekommen können“, erläutertDinter. Der Zoo unterstütze die ZGF aber auch personell: „UnsereMitarbeiterinnen und Mitarbeiter helfen bei Projekten vor Ort mitihrer Expertise weiter und entwickeln gemeinsam Strategien, wiebedrohte Tierarten bestmöglich geschützt werden können“, sagt derNaturschutzreferent.

Zoodirektorin Geiger, die als Tierärztin im Zoo anfing, war selbstschon bei einem dieser Projekte im Einsatz: Sie reiste in die SteppenKasachstans, der Heimat der vom Aussterben bedrohten Saiga-Antilopen,und half dabei, die Tiere mit GPS-Halsbändern auszustatten. Nur sokönnen sie in den weitläufigen Steppen überhaupt gefunden werden. ImFebruar 2022 übernahm Geiger den Posten der Direktorin. In der langenGeschichte des Zoos, der zweitälteste in Deutschland nach Berlin, istsie die erste Frau an dessen Spitze – ein weiteres Indiz dafür, dassim Zoo mit seinen mehr als 180 Mitarbeitenden die Zeichen auf Zukunftstehen.


SteigendesInteresse bei den Besucherinnen und Besuchern

Durch die im öffentlichen Diskurs immer präsentere Klima- undBiodiversitätsverlustsdebatte ist auch der Naturschutz verstärkt inden Fokus der Öffentlichkeit geraten. „Es ist ein sich selbstverstärkender Prozess“, sagt Dinter. Das zeige sich auch daran, dass79 Prozent der Zoogäste den freiwilligen Naturschutz-Euro zusätzlichzum Eintrittspreis zahlen. Besonders freut Dinter, dass auch vermehrtjunge Menschen zu den Vortragsreihen zum Thema im Zoo kommen: „Eskommen immer häufiger Studierende und vor Kurzem war ein Bio-Leistungskursbei uns.“ In den sozialen Medien gewinnt das Thema ebenfalls anBedeutung, auch wenn es gegen eine Sache wahrscheinlich niemalsankommen wird: „Süße Tierbabys gehen immer am besten“, erzählt Dinterlachend.

Die gibt es auch in der Anlage der Humboldt-Pinguine und imMenschenaffenhaus – die ersten Bereiche, die im Zoo nach dem neuenKonzept umgesetzt wurden. Bei der Vorstellung von „ZOOKUNFT2030+“nutzte man Bilder des Flusspferdhauses, um die Wichtigkeit des Umbauszu verdeutlichen. Die gemütlich in ihrem Becken dösende Petra wirddie Neugestaltung ihres Zuhauses nicht mehr erleben. IhreNachfolgerinnen und Nachfolger dürfen gespannt darauf sein, was derZoo Frankfurt für sie kreiert.

Text: Laura Bicker, März 2024

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